Jeannette Fischer

Jeannette Fischer – Ist Frieden möglich?

„Frieden ist etwas Dynamisches. Wenn wir davon ausgehen, dass das einzig Verbindende zwischen Menschen die Anerkennung der Differenz ist, also die Anerkennung, dass der andere anders ist als ich, Nicht-Ich ist, dann bedeutet dies in der Begegnung mit jedem anderen Menschen unweigerlich Reibungsfläche.“

Weihnachten und die Zeit zwischen den Jahren sollte eine friedliche Zeit sein, doch die Wirklichkeit sieht anders aus. 

Kriege, Zerstörung, Unfrieden und Schwierigkeiten die Spaltung(en) der letzten Jahre zu überwinden.

Im Gespräch mit der Psychoanalytikerin und Autorin Jeannette Fischer diskutiere ich über Krieg und Frieden, menschliche Verhaltensmuster, Kunst , Reibungsflächen und Energie.

Jeannette Fischer geht davon aus, dass das Verbindende zwischen Menschen weder die Liebe noch die Toleranz ist, sondern nur die Anerkennung der Differenz. 

Das bedeutet, dass wir diese Differenz auszuhalten haben. Und hier liegt die Schwierigkeit: 

„Das Aushalten, dass der andere immer anders ist als ich, wo wir uns doch so gerne verbünden, Gruppen bilden von Gleichgesinnten, seien sie religiös, politisch oder kulturell und damit andere ausschliessen, die Differenz also ausschliessen bis hin zur Stigmatisierung, ja bis zur Tötung des differenten anderen. Wir müssen die anderen nicht lieben, auch nicht akzeptieren, es ist viel einfacher, nur anerkennen in deren Differenz.“

„Diese Differenz anzuerkennen bedeutet Reibungsfläche, und eine Reibungsfläche erzeugt Energie, ist Feuer, ist auch Leidenschaft. Sie bedeutet Konflikt, Auseinandersetzung und sie bedeutet auch Begehren. Hier, genau hier entsteht Neues, hier ist Kreation, hier ist Welt, hier ist Leben, hier ist Kunst und: Hier ist Frieden. Frieden ist energiegeladen.“ (Jeannette Fischer)

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This post has 6 Comments

  1. MO on 27. Dezember 2024 at 10:16 Antworten

    Vielen Dank für dieses Interview. Vielen Dank für die interessante Psychoanalytikerin, danke für den Gedanken, ” Verbundenheit in der Differenz”.
    Ja, sobald die aktuelle Politik ins Gespräch ist, ist der Gedanke, Verbundenheit in der Differenz nicht mehr möglich. Ohnmacht ist eine Immunschwäche!
    Diskurs unbedingt ändern !!!!! Für mich sehr wichtig das hier hören zu können.

  2. Klaus Schlagmann on 27. Dezember 2024 at 15:23 Antworten

    Jeannette Fischer hat eine Ausbildung in Freudscher Psychoanalyse. Als solche weiß sie, dass viele Dinge etwas ganz anderes bedeuten. Freud hat schon erklärt, dass ein „Nein“ eigentlich ein „Ja“, Ablehnung eigentlich Zuneigung bedeutet („Bruchstück einer Hysterieanalyse“, 1905). Wenn man sich auf dieser Basis mit dem mit dem Frieden beschäftigt hat, wie Fischer das schon jahrelang getan hat, dann „erkennt“ man eben auch: Friedvoll zu sein ist kitschig. „Tolerant“ zu sein, das ist für Fischer „imperialistisch“. Das sagt sie schon bei Gunnar Kaiser: „Weil ‚tolerant‘ ist für mich auch ein destruktiver, sehr destruktiver Begriff, weil ‚tolerant‘ heißt ja: ‚Ich bin tolerant‘ – das heißt ja: Ich inkludiere quasi in mein imperialistisches Denken.“ Von „Kompromissen“ hält sie „auch nicht so wahnsinnig viel“. „Das ist immer so ein bisschen ‚Äh, Äh.‘ für beide Seiten. Man macht Abstriche hier und Abstriche da.“ Also: Auch an Kompromissen ist was faul. (Ich hatte mal gehört, und fand es gut: Einen guten Kompromiss erkennt man daran, dass beide Seiten damit unzufrieden sind.)

    Frieden ist für sie, die „Reibungsfläche“ zwischen den Menschen „ernst zu nehmen und sich daran zu reiben“. Wenn sie das auf den Ukraine-Krieg übertragen soll, dann kommt dabei nur eine Art hilfloser Appell zum Vorschein, dass der Krieg am (Verhandlungs-) „Tisch“ stattfinden müsse, alles andere sei einfach dumm. Damit wird eine Diskussion darüber, dass da knallharte Interessen dahinter stehen, die sich mit sehr viel Raffinesse und Tücke Vorteile zu ergattern hoffen, einfach wegdefiniert.

    An diesem Punkt macht es für mich keinen Sinn mehr, diesem dürren Gesäusel weiter zuzuhören. Auch wenn sie ein „Das sehe ich genauso wie du!“ von sich gibt: Sie vertritt für mich eine höchst gefährliche Position, die eine rationale Analyse der macht- und wirtschaftspolitischen Hintergründe von Kriegen quasi als „unerheblich“ wegdefiniert. Macht und Wirtschaft spielen keine zentrale Rolle. Da werden sich all diejenigen, die an Kriegen stinkreich werden, genüsslich die Hände reiben. Die Investition in Fischer hat sich gelohnt. Sie verbreitet ihre reaktionären Thesen in Sendungen, die sich den Anschein geben, Aufklärung zu betreiben. So streut man einer Opposition Sand ins Gehirn.

    Im Gespräch mit Gunnar Kaiser war es Fischer ein Anliegen, die Kategorie „Opfer“ abzuschaffen. Das hat in der Psychoanalyse lange Tradition. Da war man seit Sigmund Freud bemüht, jede Form von Traumatisierung, Gewalterfahrung in ihren Auswirkungen auf das psychische Befinden quasi zu leugnen und wegzudefinieren. Stattdessen wurden dann die Täterseiten des Opfers betont. Beispiel: sexualisierte Gewalt gegen ein Kind. Diese wirkt nicht etwa schädlich, weil damit persönliche, körperliche Grenzen radikal überschritten werden, einem Kind dabei Schmerz und Leid vermittelt wird, es gleichzeitig Hilf- und Wertlosigkeit erfährt. Sondern: solch eine Aktion wird von dem Kind GEWOLLT. Es erlebt dies – bspw. als unter 10-jährige Grundschülerin, die vom Vater vergewaltigt wurde – „in typischer Weise … als einen sexuell erregenden Triumph über ihre Mutter“! Um gesund zu werden, muss sie „ihre Schuld tolerieren“. Dies sagt einer der berühmtesten Psychoanalytiker der Welt vor über 1.000 Fachleuten – und wird dafür begeistert beklatscht. Er wird in dem Jar, in dem er diesen Vortrag hält (1997) zum Präsidenten der „Internationalen psychoanalytischen Vereinigung“ (IPV oder IPA) gewählt.

    Das ist das, was ich als die typische Opfer-Täter-Umkehr bezeichne, die in der psychoanalytischen Theorie – bspw. vom sog. „Ödipuskomplex“ – systematisch angelegt ist.

    Fischer ist eine gläubige Anhängerin dieser erzreaktionären psychoanalytischen Sekte. Während Sigmund Freud eher im Stillen seine Ideologie entfaltet hat, hat sich sein Neffe Edward Bernays ganz offen den Mächtigen der Welt als Inspirator und Propaganda-Spezialist angedient.

  3. Klaus Schlagmann on 29. Dezember 2024 at 1:09 Antworten

    P.S.:
    Inzwischen habe ich mich überwunden und doch noch einige weitere Passagen aus diesem Interview angehört. Dabei habe ich festgestellt, dass du, Kai, dich doch sehr redlich bemüht hast, Fischers Thesen zu widersprechen. Auf ihrer Seite gab es jedoch kein Signal von Einsicht. Ob es nun darum geht, dass es Bill Gates mit seiner Impfkampagne bestimmt nur gut gemeint hat – diesen Unsinn gibt sie auch bei Gunnar Kaiser zum Besten – oder, dass sie den Wert und die Verdienste der Frauenbewegung bestreitet.

    Auch ihre Frauen und “Mütterfeidlichkeit” – eines der klassischen Erbstücke der Freudschen Psychoanalyse – klingt schon bei Gunnar Kaiser an. Dort sagt sie (ca. 40:30): “Fast niemand getraut sich, diese Idealisierung [von Mutterliebe] überhaupt einmal zu entlarven. Was alles unter Mutterliebe läuft und grenzüberschreitend ist, zu nahe ist, zu fürsorglich, zu symbiotisch, oder? Das wird alles verpackt: ‘Ja, aber es ist ja mein Sohn oder meine Tochter. Ich liebe die doch. Ich würde ein Hemd [sie meint wohl: mein letztes Hemd] oder mein Leben für sie hingeben!’, oder? Ich meine, das ist doch so absoluter Quatsch, oder? Und das ist aggressiv. Das ist sehr aggressiv, wird aber in unserer Gesellschaft gar nicht als solches wahrgenommen.” Also auch hier ihr Neusprech: Fürsorge ist Aggression.

    Fischer Positionen liegen ganz auf der Linie der psychoanalytischen Opfer-Beschuldigungs-Ideologie: Eine der massivsten Aktionen gegen Menschenrechte wie die „Impf“-Kampagne von Bill Gates wird als „gut gemeint“ verniedlicht, während die echten Erfolge einer „Befreiungsbewegung“ (Frauen-Emanzipation) gegen höchst reale Einschränkungen von Selbstbehauptung, Fairness und Gerechtigkeit bagatellisiert und geleugnet werden. In einem Welt- und Menschenbild, in dem ALLES wesentliche Empfinden und Leiden auf unbewältigte (natürlich “unbewusste”) frühkindliche Perversionen zurückgeführt wird, da hat ein Blick auf reale Gewaltverhältnisse und deren Auswirkungen auf die psychische und psychosomatische Verfassung von Menschen eben keinen Platz.

    Vermutlich waren diese gedanklichen Ansätze, mit denen Freud 1897 in die Freimaurerloge B’nai B’rith eingetreten ist, der dortigen Elite der Mächtigen so willkommen, dass sie seinen menschenfeindlichen Irrsinn großzügig gefördert und populär gemacht haben. Mit Freuds Thesen ist dann mehr als ein Jahrhundert lang das menschliche Bewusstsein vergiftet worden. Zeit, diesem unseligen Spuk klar und deutlich zu widersprechen.

  4. Alexander Fein on 31. Dezember 2024 at 22:17 Antworten

    Sehr geehrter Herr Schlagmann,

    Ihren Ausführungen kann ich nicht folgen und erst recht nicht zustimmen. Das Problem ist für mich weniger, dass Bill Gates es mit seiner Impfkampagne nicht gut gemeint haben könnte, als dass er sich in einer sozialen Situation befindet, in der ihm niemand mehr zu widersprechen sich traut. Wodurch der dem Fehlverhalten immanente innere Konflikt – nämlich Scham als Ausdruck eigener Begrenztheit – unbearbeitet bleibt und so als Schamlosigkeit abgearbeitet wird. Der US-Historiker Christopher Lasch (1932-1994) hat umfangreiche Ausarbeitungen darüber vorgelegt, dass liberale Gesellschaften dazu tendieren, Schamlosigkeit als gesellschaftliches Heilmittel zu propagieren, wenn auch oft aus “gutgemeinten” Gründen. Diese Schamlosigkeit – laut Lasch unter anderem ein Ergebnis der Angriffe auf die Psychoanalyse – durften wir dann in dem berühmten Interview mit Herrn Zamparoni bestaunen. Was die emanzipatorischen Erfolge der Frauenbewegung angeht, gibt Lasch zu bedenken, dass sie vor allem für die Eingliederung selektiv Minderprivilegierter in ein Herrschaftssystem gesorgt habe als dass sie eine radikale Transformation sozialer Ausbeutungsverhältnisse herbeigeführt hätte.

    Wenn politische Debattten vor allem unter Täter-Opfer-Gesichtspunkten geführt werden, zeugt das meiner Meinung nach ebenfalls von einem Oben-Unten- Verständnis. Was nichts daran ändert, dass es Geschädigte gibt und auch Gutmeinende für ihr Fehlverhalten natürlich zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Prophylaktisch kann aber nur eine Analyse der zugrundeliegenden intrapsychischen Konflikte wirken.

    Ich selbst nehme aus diesen Gründen davon Abstand, mich schützend insbesondere vor die Frauenbewegung zu stellen, die derzeit zumindest im Westen vehement die Ideologie des sozialen Aufstiegs vertritt, die ebenfalls ihrerseits neoliberale Herrschaftsverhältnisse propagandistisch ummantelt.

  5. Klaus Schlagmann on 4. Januar 2025 at 2:44 Antworten

    Hallo Herr Fein,

    da Sie meinen Ausführungen nicht folgen können, ohne mir zu sagen, bei welchen Ausführungen genau Sie das nicht können, hat sich die Diskussion ja erübrigt. Dann halt nicht.

    Trotzdem will ich noch etwas loswerden: Für Sie ist es „weniger“ ein Problem, die Frage zu klären, ob es Bill Gates gut gemeint haben könnte oder nicht. Gut. Per Definition wird für Sie zum Nicht-Problem, was ich an Fischer moniere: dass sie allen Ernstes meint, Bill Gates hätte es mit seiner Impf-Kampagne nur „gut gemeint“. Ich selbst würde gerne alle LeserInnen dazu einladen, in einer solch verharmlosenden Sichtweise auf Bill Gates und sein Handeln ein Problem zu sehen.

    Problemlos stimme ich Ihnen zu, dass es ein Problem darstellt, dass Menschen mit öffentlichem Ansehen alles mögliche machen können, ohne dass ihnen widersprochen würde. Das trifft für mich auch auf eine Person wie Fischer zu, die ja auch von allen möglichen Medien herumgereicht und „gefeiert“ wird. Sie kann nun allen möglichen Mist erzählen, ohne dass ihr vehement widersprochen wird.

    Für mich recht unvermittelt kommen Sie nun auf „Scham“ zu sprechen. Sie sei mit einem „dem Fehlverhalten immanenten inneren Konflikt“ verbunden. Scham sehen Sie „als Ausdruck eigener Begrenztheit“, welche wiederum „unbearbeitet“ bleibe, als „Schamlosigkeit abgearbeitet“ werde, wobei „Schamlosigkeit“ – zumindest in liberalen Gesellschaften – als „gesellschaftliches Heilmittel“ propagiert werde, gleichzeitig „unter anderem auch ein Ergebnis der Angriffe auf die Psychoanalyse“ sei. Diesem Gedanken-Wirrwarr vermag ich selbst wiederum in keiner Weise zu folgen. Ich verstehe nicht, was Sie mir und anderen damit sagen wollen.

    Scham- und Schuldgefühle sind für mich in erster Linie einmal sinnvolle Emotionen. Eine „Emotion“ ist etwas, was uns – nach dem lateinischen Ursprung des Wortes – aus etwas heraus bewegt. Schuld- und Schamgefühle treten wohl schon in der Steinzeit auf, und zwar dann, wenn jemand die Clan-Regeln verletzt hat. In dem Scham- und Schuldgefühl („im Boden versinken wollen“) macht sich dann so jemand erst mal eher klein. Das wiederum soll dazu dienen, dass man – als der- oder diejenige, der/die die Clan-Regeln verletzt hat – sich erst einmal eher in der unteren sozialen Hierarchie einsortiert. Dieser „Reflex“ – sich selbst klein zu machen – soll wiederum verhindern, dass man sich noch mehr die Missbilligung des Clans zuzieht. Denn mehr Missbilligung könnte zum Ausschluss aus dem Clan führen – und das wäre in der Steinzeit quasi ein „Todesurteil“ gewesen. Scham- und Schuldgefühle dienen also ursprünglich einer „guten Absicht“: Sie sollen in einem Gruppen-Konflikt die Integration desjenigen Individuums in den Clan sicherstellen, das die Regeln verletzt hat.

    „Schamlosigkeit“ als „Ergebnis von Angriffen auf die Psychoanalyse“: das ist lächerlich. Einem schamlosen Lügner wie Freud zu widersprechen – Details dazu gerne u.a. hier: „Tradition des Lügens“ (https://oedipus-online.de/wp-content/uploads/2023/10/Tradition_des_Luegens.pdf) –, das fördere die Schamlosigkeit. Für mich ist das erbärmlicher, lächerlicher Unsinn. Für einen kritiklosen Freud-Anhänger wie Lash gehört dies zum rhetorischen Rüstzeug, um – völlig berechtigte – „Angriffe auf die Psychoanalyse“ zu diskreditieren.

    Das „berühmte Interview mit Herrn Zamparoni“ ist meiner Aufmerksamkeit entgangen. Ich kenne diesen Herrn nicht, weiß also nicht, wovon Sie sprechen.

    Es geht mir nicht darum, dass „politische Debatten vor allem unter Täter-Opfer-Gesichtspunkten geführt werden“. Es genügt vollkommen, wenn einigermaßen klar ist, dass es Opfer und dass es Täter gibt. Es ist auch m.E. unsinnig, ein „Oben-Unten-Verhältnis“ zu leugnen. So ist es eben leider – schon sehr lange. Tyrannen sind leider in der bequemen Situation, ihre Macht relativ leicht aufrecht erhalten zu können. Diese Herrschaften neigen in der Regel nicht dazu, ihr Handeln zu beenden, indem sie ihre „zugrundeliegenden intrapsychischen Konflikte“ analysieren. Da bedarf es wohl schon anderer Mechanismen – bspw. eines Umsturzes. Dieser wiederum birgt i.d.R. selbst schon wieder unerfreuliche Gewaltstrukturen in sich.

    Und noch einmal: Es ist in meinen Augen grotesk, wenn eine Frau, die von sich sagt, Teil der Frauenbewegung gewesen zu sein, noch nicht einmal im Ansatz reflektieren kann, was eine solche „Bewegung“ in relativ kurzer Zeit (sagen wir: 100 Jahren) bewirkt hat: Frauenwahlrecht (auch wenn „Wahlen“ nur eine scheindemokratische Augenwischerei darstellen), angemesseneres Scheidungsrecht, die Möglichkeit, auch ohne den Segen des Ehegatten berufstätig sein zu dürfen, … Es geht mir nicht darum, mich „schützend“ vor „die“ Frauenbewegung zu stellen – die es als monolithischen Block wohl gar nicht gibt, sondern die in sehr vielen unterschiedlichen Facetten existiert. Und wir können auch gerne die Möglichkeiten reflektieren, wie solche Bewegungen pervertiert werden.

    In diesen Punkten – Fischers Haltung zur Impfkampagne von Bill Gates und ihre Einstellung zur Frauenbewegeung – zeigt sich aus meiner Sicht sehr plastisch das kranke Welt- und Menschenbild der Freudschen Psychoanalyse, das Fischer vertritt: Gewaltverhältnisse werden verniedlicht, reale Befreiungs-Taten werden in ihrer Bedeutung heruntergespielt. Täter-Handeln wird verharmlost. Widerstand von „Opfern“ wird diskreditiert. Sogenannte “Therapie”, die auf dieser Basis durchgeführt wird, hat geradezu systematisch Verschlechterungseffekte zur Folge. Solche Fälle habe ich in meiner Praxis wiederholt erlebt. Aber diese “Wahrheit” interessiert so gut wie niemanden. Weder die KollegInnen, noch die Krankenkassen, noch die Medien. So ist es halt. Wie in der Corona-Zeit.

  6. Alexander Fein on 9. Januar 2025 at 20:02 Antworten

    Sehr geehrter Herr Schlagmann,

    haben Sie denn den “kritiklosen Freud-Anhänger” Lasch gelesen? Sein Buch “Die blinde Elite – Macht ohne Verantwortung” (Hoffmann und Campe, 1995) wurde jetzt auch von Emmanuel Todd in seinem aktuellen Buch “Der Westen im Niedergang” erwähnt. Offenbar schätzt Todd dessen Analysen, denn Lasch hat ja die Entwicklung des Westens relativ sicher prognostiziert. Die Bedeutung der Scham als Antrieb zur eigenen Weiterentwicklung werde verkannt, wenn in ihr nur ein “Sichkleinmachen” verstanden werde, das es zu bekämpfen gelte. Das Ergebnis dieser Fehlauffassung wirke sich auf die obere und die untere soziale Klasse jeweils unterschiedlich aus: Bei der Oberschicht als völlige Unfähigkeit zur Selbstkritik und zur Dankbarkeit für die priviligierte Stellung; für die Unterschicht führe Schamlosigkeit zu einem Verharren in der – sinngemäß – selbstverschuldeten Unmündigkeit, die ebenfalls keinerlei Selbstkritik mehr kenne. Den Mittelschichten – auch deren weitgehendes Verschwinden wird von Lasch beschrieben – bleibe dann noch eine Ideologie des sozialen Aufstiegs in einer Gesellschaft, die nur noch die Hierarchisierung von Privilegien kennt. Sofern diese Ideologie nicht trägt, werde “Therapie” angeboten – Demokratie als therapeutische Übung. Das Zutreffen dieser These hat “Corona” perfekt illustriert. Mir erscheint es verwegen, das “Recht auf Erwerbsarbeit” unter diesen Bedingungen als emanzipatorischen Akt zu begreifen. Ich bin halt weiterhin im Denken der politischen Linken, wie sie mal gemeint war, zu Hause. Der Klassenkonflikt geht nicht von einem reinen Täter-Opfer-Verhältnis aus, auch wenn dieses innerhalb linker Ideologie – ich gebrauche dieses Wort in voller Absicht – schon seit Marx eine Rolle spielt, sondern im Gegenteil von jeweils ererbten Privilegien, die auch der Proletarier hat.

    Insofern Gates als quasi teuflischer Täter angesehen wird, gebe ich zu Bedenken, dass Hannah Arendt im Falle eines anderen Täters von der “Banalität des Bösen” gesprochen hat. Auch deren Analysen halte ich weiterhin für tragfähig, wenn auch auf die gegebenen Verhältnisse nicht 1:1 übertragbar.

    Was den “kritiklosen Freud-Anhänger” Lasch angeht, gibt dieser in seinem oben erwähnten Werk an, dass er die Psychoanalyse als therapeutische Methode für kaum tragbar hält, diese aber wertvolle Ansatzpunkte zur Gesellschaftsanalyse biete.

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